Italiano  English  Português  Español  Deutsch  Français

Interview mit Dave Matthews

Von Elena Pizzetti

15 Minuten mit Dave Matthews

Mailand, 22. Februar 2010. Ich sitze in einem Taxi zum "Palasharp", wo die Dave Matthews Band ihren ersten der drei italienischen Auftritt spielen wird. In meiner Tasche befinden sich neben meinem Ticket auch ein Aufnahmegerät und ein paar Blätter Papier: Ich werde Dave Matthews vor dem Konzert für das italienische Musikmagazin Buscadero interviewen.

Ich erreiche das Palasharp frühzeitig und suche mit Corsina (a.d. Red.: Kopf der italienischen DMB-Community Con-Fusion) nach dem Tour-Director. Es nieselt und ich friere in meiner leichten Frühlingsjacke, die ich mir in Mailand in der Hoffnung auf gutes Wetter gekauft hatte. Ein grinsender Typ mit langem, braunem, gelocktem Haar kommt aus dem Catering-Container und fragt uns, ob wir irgendwas brauchen. Corsina antwortet ihm, dass sie G. treffen soll und er erklärt sich bereit, nach ihm zu suchen. Er verschwindet in der grauen Halle der Sporthalle und kommt nach ein paar Minuten zurück und teilt uns mit, dass er ihn auf dem Transceiver erreicht hat und er kommen wird. An diesem Abend werden wir unseren freundlichen Helfer auf der Bühne wiederfinden. Er ist kein Mitglied der Crew, sondern Terry Wolfer, Bassist der Vorgruppe Alberta Cross.

Nach einem weiteren kurzen und kalten Warten erscheint G. endlich aus einer kleinen Tür. Corsina betritt die Arena mit ihm und ich trenne mich von ihnen, weil ich mich in zehn Minuten ein Treffen mit einem Repräsentanten des italienischen Warner-Music-Managements haben werde. Ich erreiche den Presseschalter zusammen mit anderen Journalisten und werde in das Pavillion geleitet. Von den noch leeren Tribünen sehe ich, wie die Welle der Con-Fusion-Fans ungestüm in die Halle bis an die vorderen Absperrgitter schwappt. Einer der Journalisten fragt: "Wer sind die Leute - Ausländer?" Vielleicht erwartet er nicht einen solchen Enthusiasmus von italienischen Fans.
Uns wird erzählt, dass das Interview in Daves Umkleideraum stattfinden wird. Sobald die Fernsehanstalten fertig sind, bin ich an der Reihe. Ich werde 15 Minuten haben, um mit Dave von Angesicht zu Angesicht zu sprechen.
Jemand von dem Staff bringt mich in den Backstage-Bereich und dort warte ich zehn Minuten in einem kleinen Gang, wo ich die die Töne von Jeff Coffins Saxophon aus einer der vielen verschlossen Türen höre. Carter kommt mit einem breiten Grinsen auf seinem Gesicht und einem riesigen Kopfhörer. Nach einer Weile kommt Jeff raus, ein Saxophon baumelt an seinem Hals herunter. Er lugt in die Halle, spricht kurz mit einem Crew-Mitglied und geht anschließend zurück in sein Ankleidezimmer. Als er an mir vorbei kommt, treffen sich unsere Augen und er grüßt mich mit einem "Hi" sowie einem ansteckendem Lächeln. Überall herrscht eine gute Atmosphäre. Eine Tür zu meiner Linken öffnet sich und mein Begleiter winkt mich herein. Die Journalisten von "La7 TV" verlassen mit ihrer umfangreichen Ausrüstung den Raum und ich trete ein.

Dave steht in der Mitte der Garderobe und das erste, was mir ins Auge fällt, ist seine Größe. Es ist nicht einfach seine körperliche Höhe und seine Stattlichkeit, da ist mehr: eine ungreifbare Ausstrahlung, die ihn noch größer erscheinen lässt. Als wenn sich seine Präsenz über die physische Grenzen hinaus über den ganzen Raum erstrecken würde. Er kommt lächelnd auf mich zu, während seine Augen mich nicht nur einfach anstarren, sondern eingehend mustern - aber nicht in einer peinlichen, beschämenden Art und Weise. Ein Mitarbeiter fragt nach dem Namen des Magazins, für das ich arbeite und als ich "Buscadero" antworte, erklärt er Dave, dass dieser auf dem Cover der Ausgabe des letzten Monats war. Ich gebe ihm ein "Buscadero"-Februarheft mit einer Übersetzung von Benedetta Copeta und Carla Melis. Dave zeigt auf das Foto und kommentiert die schreckliche Frisur, die er an dem Tag hatte und wir brechen in Lachen aus. Er fragt nach meinem Namen und als ich "Elena" antworte, wiederholt er das zweite ‚e' betonend "Eléééna?". Ich korrigiere ihn gespielt genervt, "Nein, Èlena!", den Akzent auf der ersten Silbe. Er versucht es erneut "Eléééna!". Nun ist es etwas Prinzipielles: "Nein, &eagrve;èèlena!". Schlussendlich spricht er es richtig aus und ich gratuliere ihm mit einem schallenden "Yeah!!" Er fängt an "Èèèlena! Èèèlena!" immer stärker werdend zu wiederholen zusammen mit ausdrucksstarken pantomimischen Gesten. Das ist definitiv ein lustiger, nicht zu übertreffender Einstieg in mein Interview.

Er sitzt auf dem Sofa; ihm gegenüber, hinter einem Tisch voller Zettel, stehen zwei Stühle. Während ich mich auf einen dieser Stühle zubewege frage ich, wo ich sitzen soll. Er jedoch zeigt auf das Sofa und sagt "hier, hier!". Ich setze mich neben ihn und frage, während ich das Interview und meinen Rekorder auf den Tisch lege, wie er sich fühlt und ob er glücklich ist, wieder in Italien zu sein. Er ist es und zwar sehr. Bevor wir beginnen erkläre ich ihm, dass ich nicht nur der Interviewer von ‚Buscadero' bin, sondern auch eine Mitglied von Con-Fusion. Lächelnd nickt er: "Oh, wie nett!". Ich werfe einen kurzen Blick auf die Zettel: sie sind voller Zeichnungen und Kritzeleien. Auf einem von ihnen entwirft er gerade die Setlist für das Konzert. Ich frage ihn, ob er noch Zeit braucht oder wir anfangen können und er löst sofort seinen Blick von dem Zettel und ruft "Nein, nein!! Du kannst anfangen!!" als hätte ich gar nicht fragen sollen
Während Dave sich meine Fragen anhört, starrt er mich intensiv mit einem Ausdruck auf dem Gesicht wie, "Was in Gottes Namen fragst Du da?" an. Aber im Gegenteil, das ist sein typischer hochkonzentrierter Blick. Als ich ihn nach seiner Schauspielerei frage, hebt er plötzlich eine Augenbraue, so dass ich für einen Moment innehalte und ihn fragend anschaue, ob ich etwas Falsches gesagt habe. Er bemerkt, dass er etwas ungewiss wirkt und senkt seine Augenbraue, entspannt sich und fordert mich auf fortzufahren.
Am Ende jeder Frage wird aus seinem anziehenden Schweigen ein Schwall von Wörtern begleitet von einer Vielzahl an Gesten. Er antwortet mit solchem Enthusiasmus und voller Energie, dass all seine Ernsthaftigkeit und Freundlichkeit deutlich wird. Ab und zu, hält er inne um nachzudenken und die richtigen Worte zu finden: Momente der Spannung in denen sein starrer Blick sich löst und ich fast den Atem anhalte, um seine Konzentration nicht mit dem geringsten Geräusch zu stören. In einigen Fällen macht er sich auf einem Zettel Stichworte bevor er antwortet, solange bis die Hauptaussage seiner Antwort aus seinem Stift kommt.
Ich habe einen Stift in meiner Tasche, aber ich mache keine Notizen: der Rekorder arbeitet einwandfrei und ich will die Atmosphäre, die sich von einem Interview zu einem langen Gespräch entwickelt, nicht zerstören. Es wäre nicht angebracht, auf ein Blatt Papier zu starren während er mit mir spricht. Und dazu kommt, ein Interview von Angesicht zu Angesicht zu bekommen, da ist es das Mindeste, ihm ins Gesicht zu schauen! Auf diesem Sofa zu sitzen scheint das Normalste von der Welt zu sein - es ist als ob wir uns schon öfter getroffen hätten.

Im Artikel werde ich nur seine Antworte niederschreiben, aber während der Antworten und Fragen findet ein reger Austausch zwischen uns statt. Als wir über die ‚Big Whiskey'-Illustrationen reden, kann ich nicht anders als ihn zu diesem Meisterwerk zu beglückwünschen. Als er von LeRoi erzählt, erinnere ich ihn an das wundervolle Zitat aus Sam Ericksons Dokumentation, dass er mit seinem Spiel den Eindruck vermittelt hat, irgendwo anders zu sein. Und auf dieses Stichwort hin beginnt Dave seinen wunderbaren Vergleich zwischen Roi und Jeff. Sofort als ich ‚Lucca' sage, zeigt er seine Begeisterung. Er lässt mich die Frage sogar nicht beenden und beginnt sich an diese "großartige Nacht" zu erinnern. Ich erkläre ihm, dass es das längste Konzert in der Bandgeschichte war und er wendet sich mir aufmerksam und beeindruckt zu, da er das nicht wusste. In den darauf folgenden Interviews, mit ‚Rockol' und ‚Radio Due' zum Beispiel, wird er es den Interviewern auf die zu erwartende Frage nach diesem epischen Konzert selbst erzählen.
Die Zeit vergeht wie im Flug und als man mir sagt, dass nur noch zwei Minuten übrig sind, habe ich noch viele Fragen, die ich Dave stellen möchte. Ich wähle drei davon aus, eine die vom Herausgeber des Magazins verlangt worden war und zwei mit verschieden Themen, um die Vielfalt zu gewährleisten, die ich bei der Vorbereitung des Interviews versucht hatte zu erreichen, obgleich nun mit einer geringeren Anzahl an Fragen, als ich vorbereitet hatte. Daves Liebenswürdigkeit ist grenzenlos: auf das Blatt mit den übrig gebliebenen Fragen blickend, entschuldigt er sich für die langen Antworten, die er gegeben hat. Am Ende des Interviews steht er auf um mir zu danken und sagt mir, was für eine Freude es für ihn war, mich zu treffen. Das absolute Gegenteil von dem was ich erwartet hatte, das passieren würde.
Ich frage, ob ich ein paar Fotos für das Magazin machen kann. Ungeachtet dessen, dass meine Zeit abgelaufen ist und Mitarbeiter des Teams den Raum betreten, um das nächste Interview vorzubereiten, sind alle sehr hilfsbereit und gewähren mir eine weitere Minute. Ich mache einige Fotos von Dave und eines von ihm und mir zusammen und verlasse schnell den Raum.

Im Inneren der Arena sitzend denke ich an das Interview zurück, denke an die zehn Mitglieder von Con-Fusion, die an einem Meet & Greet mit Dave teilnehmen, an die vielen anderen, die ihn treffen, ihn begrüßen werden, ihm ihre Kunstwerke geben werden, ihn ganz nahe spielen sehen werden. Die folgenden Tage sind geprägt von Erinnerungen an das Konzert in Mailand, aber auch angefüllt mit Berichte von Freunden, die die Konzerte in Rom und Padua besucht hatten, jeder besser als der vorherige. Was kann ich tun? Am 6. März einfach nach London fliegen.

Ich schaffe es, meine Reise nach London in ein paar Tagen zu organisieren und am Samstagmorgen befinde ich mich am Flughafen Luton, wo mich Corsina in ein lilafarbenes Taxi nach London entführt. Der Fahrer, ein Inder mit einer unverständlichen Aussprache, beharrt darauf, uns zu erzählen, wo Harrods zu finden wäre.
Nachdem wir unsere anderen italienischen Freunde getroffen haben, machen wir uns auf den Weg zur O2-Arena, wo wir unsere Backstagepässe bekommen. Zusätzlich zu denen von Corsina und Benedetta gibt es einen weiteren für mich; wenn ich Glück habe, treffe ich Dave noch einmal. Wir erreichen den Bereich hinter der Bühne, wo Corsina J. begrüßt und ihm erklärt, dass sie mich gerne dem Tour-Director vorstellen würde. Wir warten auf G. und ich sehe aus dem Augenwinkel eine unverwechselbare Gestalt aus einer Tür treten: Es ist Dave, ein bisschen müde und verschlafen. Er erkennt mich wieder, was ich nicht erwartet hatte, obwohl nur ein paar Tage seit Mailand vergangen sind. Er fragt uns wie es uns geht, küsst mich und Benedetta auf die Wangen, während Corsina in seiner Umarmung verschwindet. Ich bin glücklich, ihn in einer etwas informelleren Situation als in Mailand zu treffen: obwohl die Atmosphäre nicht angespannt gewesen war, hatten wir da das Rollenverhältnis von Interviewer und Interviewtem. Hier sind wir einfach Èèèlena und Dave.
Corsina gibt ihm ein Exemplar von Peter Gabriels‚ Scratch My Back' und wir fragen ihn warum er nicht bei dem Projekt mitgemacht hat, da Peter Gabriel ja mit ihm Kontakt aufnehmen wollte. Er antwortet etwas erstaunt, dass er darüber nichts weiß. Wir scherzen darüber und erzählen ihm, dass Peter vielleicht vergessen hat, ihn anzurufen und ich frage Dave ob sein Anrufbeantworter funktioniert. Er bestätigt dies lächelnd, während J. herzlich lacht. Ein etwas desorientierter Dave fragt dann "Also bin ich nicht auf dieser CD, ja?" "Nein…" "Ok.". Wir verabschieden uns und entscheiden uns, G. nicht mehr zu treffen. Während wir den langen Durchgang passieren kommt Tim Reynolds vorbei und hält, mit einer freundlichen Geste, die Tür auf und fordert uns auf zuerst durchzugehen. Dann fragt er uns lächelnd "Wie geht es Euch heute?" Bei den Erinnerungen an all die Menschen, die ich in der kurzen Zeit, die ich backstage in Mailand und London verbracht habe, getroffen habe, tauchen die Gefühle von Entspannung, Liebenswürdigkeit und Freundlichkeit auf. Während wir rausgehen denke ich, wie lustig es ist, dass wir G. letztendlich nicht sehen konnten, aber zufällig Dave und Tim getroffen haben.
Wir gehen zurück zum Parterre und Benedetta und ich machen uns schleunigst auf zur ersten Reihe. Um uns herum sind verschiedene Fangruppen aus Kanada, Deutschland und England. Als sie die Backstage-Pässe um unsere Hälse sehen, fragen sie wie wir sie bekommen hätten und sie hören aufmerksam zu, als wir von Con-Fusion erzählen und all den Bemühungen und der Organisation dank des unschätzbar wertvollen Personals. Auf einer Bühneseite taucht Corsina auf. Sie will uns Rodrigo Simas vorstellen, den Webmaster von DMBrasil. Unglücklicherweise können wir nicht lange miteinander reden, aber die kurze Begegnung ist ausreichend, um den Eindruck zu betätigen, dass er eine wunderbare Person ist.

Ein bisschen später, ein paar Zentimeter vor unseren Gesichtern entfernt, geben Dave und seine Kollegen das beste DMB-Konzert, das ich je erlebt habe. Vor dem Konzert hatte ich überlegt, am nächsten Tag nach Manchester zu fahren; am Ende dieser Nacht, im Taxi zur Victoria Station, habe ich dieses Bedürfnis nicht mehr. Es gibt gute Konzerte, solche die Dir das Gefühl geben, noch mehr zu wollen. Und dann gibt es da unwiederholbare Ereignisse, die dich für ein ganzes Jahr zufrieden machen. In meinem Kopf jedoch kann ich nicht, wie jeder andere um mich herum auch, aufhören darüber nachzudenken: Wann werden sie wiederkommen?

Interview

22. Februar 2010. Acht Monate sind seit der Veröffentlichung von "Big Whiskey And The GrooGrux King" vergangen und sieben Monate seit dem epischen Konzert in Lucca, das durch das "Europe 2009"-Boxset unsterblich wurde. Die Dave Matthews Band kehrt nach Italien zurück, um ihren kaleidoskopartigen Klangfluss auf den Bühnen in Mailand, Rom und Padova auszuschütten.
Ich treffe Dave Matthews vor der Show im "PalaSharp" in Mailand, um über die aktuelle Platte zu sprechen, den Tod des Saxofonisten LeRoi Moore, die erneuerte Verbundenheit der Band und Daves vielseitige Interessen. Seine bekannte Anti-Star-Haltung beweist sich sofort: Er begrüßt mich in seiner Garderode, wie es ein Nachbar tun würde, und er wiederholt dreimal meinem Namen, bis er ihn stolz auf dem richtigen E betonen kann. Ich überreiche ihm eine Februar-Ausgabe des "Buscadero", und er zeigt lachend auf das Titelfoto: "An dem Tag war meine Frisur wirklich furchtbar!" Ich frage ihn, ob er froh ist, wieder in Italien zu sein, und er antwortet enthusiastisch: "Yeah!" - was ich ihm zweifelsfrei abnehme. Sein Tisch ist voller Blätter mit Songlisten, Skizzen und Zeichnungen. Sein Stift wird unzähligen Kritzeleien während des Interviews folgen. Dave ergänzt die Setlist um ein paar weitere Songs, und dann beginnen wir. Seine Antworten wechseln ab zwischen überlaufenden Bewusstseinsströmen und langen, gedankenvollen Pausen, bei denen er an die Decke starrt und nach Worten sucht. Als Hintergrundmusik tönt das Saxophon von Jeff Coffin aus der Nachbargarderobe.

Verglichen mit "Everyday" und "Stand Up" hat "Big Whiskey" einen Sound und Groove, der eher an eure ersten drei Platten erinnert. Ihr habt daran in einem schweren Moment gearbeitet, aber auch eine fantastische Synergie gefunden. Denkst du, dass es eine Wiedergeburt der Band war?
Ja, das war gewiss eine Wiedergeburt. Wir hatten ein paar harte Jahre, aber ich denke, dass das normal ist, wenn man zusammen arbeitet. Bei "Everyday" habe ich sozusagen mit dem Produzenten zusammen gearbeitet. Bei "Stand Up" haben wir alle mit dem Produzenten gearbeitet, aber nicht in der gleichen Einheit wie bei den vorherigen Platten. Bei den ersten beiden waren wir ehrgeizig (a. d. Red.: "Under The Table And Dreaming", "Crash"). Die dritte ("Before These Crowded Streets") war hart, wir mussten uns ganz schön zusammenreißen, um sie fertig zu machen. Es war unmöglich, an der nächsten zusammen zu arbeiten, also haben wir es gelassen und etwas komplett anderes versucht. Ich mag "Everyday" und "Stand Up", aber sie sind ganz andere Platten. Während wir an "Big Whiskey" arbeiteten, haben wir uns alle intensiv wiederentdeckt. Die Band war fast auseinander gefallen, so dass es darum ging, dass wir entweder komplett auseinander brechen oder wieder zusammen kommen. Ich denke, dass diese Platte ein Resultat davon war, dass wir wieder zusammen gekommen sind. Aber es war nicht nur das Zurückkehren an einen Punkt. Es folgt mehr dem Weg dieser ersten drei Platten. Das sind wir alle. Ich habe wirklich hart an dieser Schreibe gearbeitet, und das habe ich auch von den anderen erwartet.

Die Wichtigkeit dieser Platte zeigt sich auch im Bookletdesign, das du allein gezeichnet und handgeschrieben hast. Du hast ebenfalls das Cover von Danny Barnes Album "Pizza Box" gezeichnet. Hast du vor, das nochmal zu machen?
Yeah, vielleicht - wenn mir was Gutes einfällt. Viele Dinge auf dieser Platte waren Glück, viele Dinge unglücklich, aber alle passten zusammen, so dass es am Ende funktionierte. Ich hatte einige Ideen für das Cover gesehen, aber sie allesamt nicht gemocht, also habe ich gesagt: "Ich mach's selbst". Ich habe auch mit Rob Cavallo (a. d. Red.: der Plattenproduzent) über das Coverdesign gesprochen, und er sagte: "Ich sehe dich Dinge kritzeln - du solltest das Cover machen." Dann ergab sich alles. Als erstes habe ich ein Gesicht gefunden. Ich hatte nicht vor, dass es LeRoi sein sollte, aber es sieht ihm einfach ähnlich. Auch der Name… all diese Dinge fielen so zusammen, dass es geplant aussieht, aber ich denke, dass ich einfach Glück hatte.

Das Album beginnt und endet mit LeRoi, wie er Saxofon spielt. Sam Ericksons Dokumentation "The Road To Big Whiskey" enthält noch weitere, unveröffentlichte Teile von ihm. Werdet ihr noch ähnliche Tracks auf den weiteren Alben einbauen?
Ich weiß es nicht. Das wäre ein schöner roter Faden - eine Verbindung, die wir von einem Album zum nächsten schaffen könnten. Es sollte allerdings natürlich sein, nicht gezwungen. Wir haben so viel großartige Musik mit Roi gemacht, dass ich gerne von seinen Aufnahmen im Laufe der Jahre weiter inspiriert würde. Ich bin davon nicht abgeneigt, aber es ist auch kein klarer Plan.

Was hatte LeRoi, das du bei niemandem anderen finden wirst? Und was brachte Jeff Coffin in den Sound der Band ein?
Wir wussten nicht, dass Roi sterben würde, als Jeff zu uns kann. Wir wollten mit Jeff eine Weile zusammenarbeiten. Als Roi starb - an dem Abend spielten wir ein Konzert - fühlte es sich selbstverständlich an, dass Jeff mit uns weiterarbeitet, sofern er Zeit hat. Es kam einfach so. Wir konnten Rois Stimme nicht einfach ersetzen, weil es eine ganz besondere war. Er war nicht einfach, aber er war auch magisch. Jeff ist ein komplett anderer Mensch. Ihre einzige Gemeinsamkeit ist das Saxofon. Abgesehen davon ist ihr Weg, die Musik anzugehen, ganz anders. Roi war sehr introvertiert, in sich gekehrt und sprach mehr durch das Instrument. Jeff ist sehr offen, extrovertiert - es ist fast so, als würden sie zwei unterschiedliche Instrumente spielen.

Vor ein paar Tagen sagte Steve Lillywhite (DMB-Produzent von 1994 bis 2000), dass er gerne wieder mit euch zusammenarbeiten würde. Könnte das passieren...?
Absolut! Ich habe noch nichts davon gehört, aber ich weiß, dass Coran (a.d. Red.: Capshaw, DMB-Manager) mit ihm in Kontakt bleibt. Es war einfach keine gute Zeit für uns, als wir aufhörten, mit ihm zusammenzuarbeiten - aber ich habe mit ihm eine der besten Zeiten meines Lebens mit ihm verbracht. Ich glaube, es würde viel Spaß machen, mit ihm wieder zusammen zu arbeiten. Wir werden sehen, wie es ausgeht. Ich arbeite auch sehr gerne mit Rob Cavallo zusammen - der macht auch gerne freudebringende Töne. Vielleicht können wir beides machen.

Ihr habt viele unveröffentlichte Songs. Auf der Deluxe-Edition von Santanas Album "Supernatural" ist "Rain Down On Me", das von dir und Carter Beauford geschrieben wurde. Auf der Bühne spielt ihr Songs wie "Sister" und "Shotgun". Habt Ihr jemals darüber nachgedacht, ein "Outtakes"-Boxset rauszubringen?
Ich habe eine seltsame Art, Musik zu betrachten. Ich möchte vorwärts gehen, und manchmal sind die Leute enttäuscht, wenn ich sage "Ich möchte das nicht mehr spielen". Manches von dem alten Zeug liebe ich. Manches bleibt, und manches davon verschwindet für Jahre und kommt dann irgendwann wieder zurück. Andere Songs mag ich einfach nicht mehr. Es ist eine Beziehung. Mein Manager sagt mir ziemlich häufig: "Du solltest eine Platte mit dem ganzen Material machen." Ein paar Jungs in der Band würden das wirklich gerne tun, ich denke, Stefan würde das lieben. Dann muss ich Zeit dafür finden, denke dann aber, dass ich einfach lieber eine neue Platte machen würde. Aber die Idee, diese Aufnahmen zu nehmen und ein "Outtakes"-Set aufzulegen ist irgendwie nett. Vielleicht machen wir das irgendwann.

Du hast schon in einigen Filmen und Fernsehserien mitgespielt. "The Other Side", "In The Woods" und "The Pretend Wife" mit Adam Sandler werden gerade gedreht. Was gibt dir die Schauspielerei, was die Musik nicht kann?
Es ist einfach sehr verschieden. Im Fall von Adam Sandler gefällt es mir, weil er ein Freund von mir ist - wir haben viel Spaß zusammen. Aber irgendwann möchte ich gerne etwas richtig gut machen. Die Schauspielerei ist eine andere Erfahrung, eine andere Art, dich auszudrücken; es ist ein anderes Ventil. Es ist schön, wenn wir uns verschiedenen Seiten unserer Persönlichkeiten hingeben können, egal, wie wir es machen. Ich mache das eben gern vor Publikum, so oder so.

In einem Interview in den frühen Neuzigern hast du die Musik von DMB als "Con-Fusion" bezeichnet, was der italienische Fan-Club als Name übernommen hat. Wenn du deine Musik heute mit einem einzigen Begriff beschreiben würdest: Welches würde das sein?
(A.d.Red.: Bevor Dave antwortet, schreibt er auf ein Blatt Papier die Worte "JOY" (Freude) und "HONEST" (aufrichtig) und betrachtet sie eine Weile): Vielleicht "Joy". Irgendetwas zwischen "joy" und "honest". Das ist es, was ich versuche, was ich sein möchte: Ich möchte ehrlich sein. Aber ich denke, es ist die Freude, die ansteckend ist. Wir haben eine Menge Spaß, wenn wir Musik machen. Es ist, als ob man auf einer brüchigen Schiene läuft und trotzdem irgendwie vorankommt.

Das Konzert letztes Jahr in Lucca, war das längste Konzert, das die Band bislang gegeben hat...
Wirklich?! Oh…! Das hat damals viel Spaß gemacht!

Es wurde außerdem für das "Europe 2009"-Boxset ausgewählt. Woran kannst du dich von der Nacht noch erinnern?
Es ist schwer, sich daran zu erinnnern. Wir wurden einfach getragen, konnten das selbst gar nicht so kontrollieren. Wenn es so etwas Besonderes ist, fühlt es sich einfach so an, als ob du gar nichts mehr tun musst. Es war mühelos, und alles schwebte. Ich erinnere mich an den Platz, die Statue; ich erinnere mich, dass Leute auf und um die Statue herum saßen. Ich erinnere mich an die Energie. Alles war überaus positiv - es war ein toller Abend.

Das Jahrzehnt ist vorbei. Welche Künstler haben deiner Meinung nach die letzte Dekade am meisten geprägt?
Das ist schwer zu sagen. Es müsste Radiohead sein. Und vielleicht Jay Z. Ich bin im Dunkeln und achte kaum auf etwas. Wenn es nach mir ginge, wäre es Danny Barnes. In einer gerechten Welt wäre es Danny Barnes! Aber es gibt viele Gute, so viele gute Bands und so viel großartige Musik.